Einleitende Gedanken

Vorweg muss ich gestehen, dass ich im Laufe meines Studiums bisher noch nie einen Webblog erstellt habe, schon gar keinen wissenschaftlichen. Insofern stellt dieses Projekt, oder eben dieser Kommunikationstypus, für mich eine gänzliche Novität dar.
Der Titel der Vorlesung hat mich, wie schon erwähnt, trotz des Aufscheinens des Terminus "Semiotik" nicht abgeschreckt. Semiotik wird sehr rasch als Lehre von den Zeichen verstanden, was prinzipiell eine kommunikative Beziehung zwischen einem oder mehreren Objekten und einem oder mehreren Subjekten, beziehungsweise ausschließlich zwischen menschlichen Individuen zur Folge haben muss. Denn ein Zeichen beinhaltet stets eine spezifische Form der Information und benötigt daher ein Empfängermedium. Dabei erscheint es aber nicht nur als überaus wichtig, Sender und Empfänger jener Zeichen ausfindig zu machen, sondern viel eher zu analysieren, wie dieser Austausch stattfindet, beziehungsweise wie der gesendete Inhalt durch die Überlieferung – einschließlich der Aufnahme der Daten oder eben Zeichen – variiert.
Insofern muss, so glaube ich, zwischen der objektiven Grundinformation und jener Botschaft differenziert werden, die zum empfangenden Individuum gelangt. Die unangetasteten Zeichen, die ein Objekt beinhaltet, können folglich – und hier liegt der entscheidende Punkt – niemals vom Beobachter entdeckt werden, da allein durch die sinnliche Wahrnehmung jener Zeichen eine nicht mehr rückgängige Subjektivität die Primärinformationen auf quantenphysikalische Art und Weise prägt und verfälscht.
Der Wissenschaftler wird folglich mit der Problematik konfrontiert, das Potential der eigenen Sinneswahrnehmung zu erforschen und zu definieren, um so nahe wie möglichst an den puren Inhalt eines Objektes zu gelangen und den Grund der Sache zu erkennen, oder aber um die Intention des Créateur des zu analysierenden Objektes besser verstehen zu können. Die Suche sollte sich dabei nach folgender Frage orientieren: Wo sind die Zeichen innerhalb dieses komplexen Systems, mit dem man sich auseinandersetzt, die man nicht auf den ersten Blick sieht? Und demnach: Warum sind sie nicht offenbar?
Der Historiker muss hier auf zwei Ebenen voranschreiten und gerade diese Eigenschaft unterscheidet die Geschichtswissenschaft von anderen Fachgebieten. Er hat als Beobachter nicht nur die Zeichen eines Objektes zu zerlegen, sondern muss zusätzlich darüber reflektieren, wie diese Objekte samt ihrer Informationen, die sie pausenlos ausstrahlen, in der Vergangenheit gedeutet oder interpretiert wurden. Dabei müssen natürlich zeitgenössische Gesinnungen, Glaubensvorstellungen, Denkweisen und unendlich viele andere Dinge in Betracht gezogen werden.

Saussure, der die Sprache als eine komplexe Summe von Zeichen versteht, ist der Auffassung, dass nur Menschen an semiologischen Vorgängen beteiligt sein können. Auch wenn diese Idee womöglich eher für die Sprache als für andere menschliche Kommunikationsmittel zutrifft, so sollte die Fähigkeit der Eigenkommunikation eines Objekts nicht unterschätzt werden. Denn natürlich muss es einen Erschaffer der Information geben, aber schon dieser muss nicht menschlicher Natur sein. Und selbst wenn er es ist, so überdauert doch das Objekt oder die Information, sowie seine Zeichen, nicht selten seinen bewussten oder unbewussten Schöpfer. Genau hier beginnen die Zeichen unabhängig zu werden, können je nach Empfänger und dessen neuer Interpretation abermals codiert werden. Das Objekt kommuniziert also für sich selbst und ist nicht länger auf einen menschlichen Sender angewiesen, wobei die objektive Basisinformation durch die Wahrnehmung verschiedener Menschen verschiedener Zeiten höchst variabel ist.
Meiner Auffassung nach sollte auch das Element der Entschlüsselungsnotwendigkeit eines Codes nicht überbewertet werden, wie dies in den Sprachwissenschaften öfters der Fall ist. Denn sogar ein Code, der vom Empfänger nicht verstanden wird übermittelt jene Information, dass er eben nicht verstanden werden kann. Dadurch ergibt sich ein ungeheuer spannender Tatbestand, denn es gilt zu klären, warum die Informationsübermittlung nicht funktioniert hat und ob hinter dieser Blockade eine Intention oder ganz einfach ein unbewusster Fehler liegt.

Im Falle von Paris bedeuten die oben beschriebenen Gedanken zunächst einmal einen Sturz ins Chaos. Wahrscheinlich könnten nicht einmal alle Computer der Welt jene Zeichen erschließen, die diese Stadt seit Jahrhunderten jede Sekunde überliefert. Bereits Paris als Gesamtkomplex kann als ein Zeichen verstanden werden, welches wiederum bis in seine kleinsten Einzelteile zerlegt werden kann. Seien es öffentliche Gebäude, Straßen, Trottoirs, Bäume und Parks, Statuen, Cafés, Bistros, kleine Geschäfte, Kirchen, Brücken, Menschen, Metrostationen – oder deren Jugendstilschilder, Mistkübel, Fenster, Türen, Kleidung oder noch viel, viel kleinere und kaum sichtbare Dinge. Dabei sollte hinterfragt werden ob das zu untersuchende Objekt schon immer so wie heute existierte, oder ob es Transformationen durchlebte - und wenn ja wann und welche? Welche Funktionen es hatte, wie die Kommunikation zwischen Sender und Empfänger in der Vergangenheit aussah und funktionierte und warum! Etliche andere Fragen würden sich hier auftun.
Um diesen Ansätzen nachzugehen, muss man das semiotische Molekül in seine Elementarteilchen zerlegen, damit man es nachher in seiner Gesamtheit besser verstehen kann.

Ich möchte zuletzt noch erwähnen, dass diese einführenden Überlegungen lediglich persönliche Gedanken wiedergeben, sich demnach also keineswegs auf wissenschaftliche Literatur beziehen.
Auch bin ich mir nicht sicher, ob man einen Blog auf diese Weise beginnt, da die Lieferung bestellter Bücher, die mich bei der Strukturierung unterstützen sollten, doch mehr Zeit in Anspruch nimmt, als ich dachte.
Letztendlich möchte ich Ihnen noch mitteilen, dass ich vom 15. bis zum 25.März beruflich in Ägypten bin, weshalb ich Ihnen in diesem Zeitraum leider keine neuen Einträge zukommen lassen kann. Ich bitte um Verständnis und werde mich nach Ostern umso intensiver meiner Arbeit für dieses FS zuwenden.

Mit besten Grüßen
Rafael Prehsler
Schmale - 13. Mär, 11:18

Schmale

Das ist ein exzellenter Start ins Leben als (wissenschaftlicher) Blogger! Die Auseinandersetzung mit Saussure ist ein guter Ausgangspunkt, den Sie, wie ich finde, sehr sinnvoll für erste Überlegungen zu Paris genutzt haben.
Vielleicht sehen Sie Ägypten nun - ich wünsche eine schöne Reise - schon mit den Augen des Semiotikers. Wahrscheinlich ist es unnötig, auf Ägypten als kulturelle Referenz in Paris hinzuweisen...
WS

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