Machtverschiebungen zwischen Elite und Masse, zwischen Mann und Frau. Vom Phänomen des Sehens, der Distanz und des Gewaltpotentials des weiblichen Geschlechts.

Die französische Revolution brachte wie kein anderes Ereignis zuvor ein System zum Wanken und sogar zum Einstürzen, welches sich, wenngleich mit wechselnden Höhen und Tiefen, Jahrhunderte lang an der Macht und an der Spitze des Volkes hatte halten können. Zudem erlangte dieses System, ergo das französische Königtum, erst knapp hundert Jahre vor der Prise de la Bastille, einen Status, der im Grunde die uneingeschränkte, absolutistische Machtausübung ermöglichte.
Eine wesentliche Eigenschaft, die seit der Entfaltung der grenzenlosen Verfügungsgewalt unter Louis XIV. die monarchische Herrschaft prägt, ist die Unantastbarkeit des in Versailles residierenden Regenten. Gerade diese Distanz zur breiten Masse ist es, die die Ereignisse seit 1789 maßgeblich mitbestimmen sollte. Hierzu muss jedoch zunächst gesagt werden, dass diese offensive Flucht des späteren Sonnenkönigs nach den Konflikten mit der Fronde eine logische, ja sogar eine zur Rückeroberung der königlichen Machtansprüche essentielle Maßnahme war. Nur in dieser künstlich geschaffenen Welt der Kontrolle, die von einem höchst disziplinierten Hofzeremoniell geprägt war, konnte der Absolutismus seinen Siegeszug antreten. Jedoch schafft Distanz auch Misstrauen.
Während seiner Regierungszeit ließ Louis XIV. im Prinzip nichts unversucht, um dem Volk zu zeigen, dass es fest in seiner Hand liegt. Zugleich machte er aber auch kein Geheimnis daraus, dass er nicht unbedingt auf Kontaktaufnahme mit seinen Untertanen aus war. Zeichen für diese Politik des Abstandes sind heute noch zur genüge in Paris sichtbar. Die Errichtung der Kolonnaden des Louvre symbolisieren beide Ziele der Herrschaft des Absoluten: Sie simulieren einerseits die, wenn nicht reelle, so doch ideelle Präsenz des Königs in der Stadt und sind andererseits eine in der Sprache der Architektur deutlich zum Ausdruck kommende Abweisung der Untertanen.
Generell sollte der Louvre als semiotische Machtdemonstration des Königs umfunktioniert werden. Denn es besteht ein großer Unterschied zwischen dem Ort, in dem der König residiert und jener Lokalität, die Selbigen repräsentiert. Schließlich war die Einrichtung des Königtums nach dem Aufstand der Fronde und der vorhergehenden Herrschaft der Kardinäle beinahe zu einer netten Begleiterscheinung im Rahmen der Regentschaft Frankreichs herabgestuft worden.
Louis musste sich also der Kraft der Zeichen bedienen. Neben dem Louvre lässt er auch die Tuileriengärten umgestalten; er positioniert sich als Herr über die Natur, denn wer selbst die Urkräfte unseres Planeten beherrscht, der kann auch die Menschen in seinem Umkreis dominieren. Zudem spielt er mit dem Gedanken, die neuen, perfektioniert- französischen Parkanlagen nur dem Regenten, folglich sich selbst, zugänglich zu machen.
Es sind die Widmungen, welche einem Ort zugrunde liegen, die den Betrachter in der Auffassung der semiotischen Ausdruckskraft besagter Lokalität beeinflussen und prägen. Die Tuileriengärten waren in der Theorie öffentlich zugänglich, sie waren also ein Ort, der im Grunde der Masse gehörte. Da sie jedoch zeitgleich als Schlosspark dienten, gab es hier durch die doppelte Widmung des Ortes, wenn auch nicht im direkten Sinne, die Möglichkeit zur Kommunikation zwischen der Masse und der Elite. Auf der anderen Seite des Schlosses befand sich ebenfalls ein Semiotikkomplex des Volkes – nämlich ein ganzes Stadtviertel.
Das Volk sah den König also und konnte theoretisch über jenen verfügen. Der ständige Wechsel der Herrschaft über die Orte ist eben eines der dominanten Charakteristika, das die Königsachse ausmacht und sich in der Zeit der Revolution geradezu überschlägt.
Als der Hof nach Versailles abzieht, ist der König im Grunde nur mehr über seine Architektur erkennbar, die er zurücklässt. Sehen bedeutet Macht. Gesehenwerden den Verlust Selbiger. Zwar residiert der König seine Untertanen nun aus rund dreißig Kilometern Entfernung, was bedeutet, dass zum Aspekt der politisch intendierten psychologischen Distanz des Status noch jener der optisch wahrnehmbaren des Ortes hinzukommt. Allerdings täuscht der Monarch mittels repräsentativer Bauten wie des Invalidendoms immer wieder die Pseudopräsenz des wachenden Auges über der Stadt vor.
Dieses Spiel mit der Macht, mit dem wachenden Sehen, funktioniert zunächst auch tadellos, trotz der beginnenden Finanzkrise unter dem Sonnenkönig. Selbst sein Nachfolger kann den Mythos eines für das Volk unsichtbaren Versailles aufrechterhalten und des Weiteren hart gegen die Parlements vorgehen. Obschon eine kleine, wenn auch elitäre Gruppe aus Sicht des absoluten Monarchen zu bekämpfen zu sein scheint, so ist das Volk ein ungleich größerer Gegner – vor allem, wenn es hungert.
1789 stand es ja bekanntlich schlecht um den König, denn er sah sich sowohl mit der Kritik der steuerbelasteten Oberschicht, als auch mit der wachsenden Unzufriedenheit des von der wirtschaftlichen Misere betroffenen Volkes konfrontiert. Viel mehr die Tradition des Königtums, als der Status seiner eigentlichen Person schützte ihn, denn diese war bereits äußerst suspekt geworden. Unter diesem Blickwinkel erscheint es als logisch, dass der Regent wieder sichtbar gemacht werden musste. Mit dem Marsch der Marktweiber nach Versailles erlangte das Volk die Fähigkeit des Wachens über den Monarchen schließlich zurück.
Insofern wurde die Distanz, die anfangs ein äußerst dienliches Instrument des Monarchen war, um über das Volk zu herrschen, ab 1789, beziehungsweise auch schon vor den Jahren des Bastillesturms, zu seinem vielleicht größten Problem. Zum Einen hatte er bereits das Misstrauen des Pariser Volkes provoziert und zum Anderen wurde die nun mehr denn je offensichtliche Distanz zum eindeutigsten Merkmal seiner Schwäche, denn der Abstand zur Masse war auf einmal ein Zeichen der Angst geworden.

Diesbezüglich kann der Marsch der Marktweiber womöglich gar als der eigentliche Beginn der aktiven Revolution angesehen werden. Der Bastillesturm war zwar der erste große Gewaltakt, allerdings richtete sich dieser gegen ein Gebäude, das nur symbolisch für die alte Ordnung stand. Doch als das Volk in Versailles stand, brauchte es keine Symbolik mehr, es hatte den Körper des Verantwortlichen unmittelbar vor sich.
Seit Louis XIV. hatte es, abgesehen von den Jahren 1715-1722, nicht mehr über den Regenten wachen können, keinen Einfluss, keine Macht, vor allem aber wenig Vertrauen gehabt. Doch mit den Ereignissen des 5. beziehungsweise 6. Oktobers wurde dieser Spieß quasi umgedreht, der König war tout à coup wieder im Blickfeld seiner Untertanen und dies nicht inmitten des von Orten der Bürger umgebenen Louvre, sondern im bis dato dem König gewidmeten, und dem für die Masse nahezu transzendent- utopischen Versailles.
Diese Komponente des Gesehenwerdens erscheint mir deshalb so wichtig, da die Sichtbarkeit des Königs tatsächlich ein großes Ziel der beginnenden Revolution war. Bereits in Versailles hatte sich die famille royale am Balkon zeigen müssen und im Tuilerienschloss wurde dieses Procedere fast schon zur Gewohnheit. Hier beginnt auch die abwertende Normalisierung des einst nahezu heiligen Körpers des Königs. Was man sehen kann, ist meist real und was real ist, verliert an Idealismus. Insofern handelt es sich bei diesen Zurschaustellungen um Vorstufen zur späteren Entkörperung des Monarchen.
Mit dem Plan der königlichen Familie, auf Grund der näher rückenden Nationalgardisten zu fliehen, wurde außerdem die Angst der bis dato Unantastbaren offensichtlich, währenddessen das Selbstbewusstsein der Aufständischen kontinuierlich im Aufstieg begriffen war.
Die Besonderheit des Marsches nach Versailles ergibt sich jedoch aus der Trägergruppe des Zuges, nämlich den Frauen. Noch im 19.Jahrhundert definiert beispielsweise Manet in seinem Werk „Le déjeuner sur l’herbe“ die Frau als ein beobachtetes Objekt. Darüber hinaus erscheint sie nackt, was wiederum auf die Naturverbundenheit schließen lässt. Die angezogenen Männer auf dem Bild verkörpern hingegen die beobachtenden Partizipanten der Szene. Diese Darstellungsweisen sind jedoch schon wesentlich früher im Bereich der französischen Kunst aufzufinden. Bei meinem vorgestrigen Streifzug durch das Museum des Louvre habe ich, fokussiert auf die den Männern beziehungsweise Frauen zugeordneten Eigenschaften, den Skulpturen französischer Künstler des 18. und 17.Jahrhunderts besondere Aufmerksamkeit geschenkt.
Die Frau ist hierbei fast ausschließlich von Passivität gekennzeichnet, der Mann von Aktivität. Die Figur der Flore etwa wirkt unschuldig sowie unaktiv und blickt zudem meist auf den Boden. Sie kann vom Betrachter also im Prinzip unbedacht beobachtet werden. Des Weiteren ist meist nur eine Brust der Figur bedeckt, was wiederum die Rolle der Nährenden, oder eben der Mutter akzentuiert, die bereits von den Aufklärern vehement unterstrichen worden ist. Dem hingegen erscheinen die Männer meist muskulös, aktiv und mit starrem, nach vorne gerichtetem Blick.

Insofern kann man sagen, dass die Frauen mit diesem Zug für eine kurze Zeit sämtliche ihnen zugeschriebenen Eigenschaften hinter sich ließen um eine neue, partizipierende Rolle einzunehmen. Sie wurden allein durch den Akt des Marsches, der bis dato eine eher männlich- militärische Angelegenheit gewesen war, aktiv wie nie zuvor. Vor allem aber waren sie die Ersten der Rebellion, die den König direkt erblickten, die als Erste die Macht des Sehens ergriffen und nicht länger auf den Fußboden starrten.

Doch wie groß war das Selbstvertrauen dieser Frauen an jenen Oktobertagen tatsächlich? Zunächst muss gesagt werden, dass sich der Zug zwar zu einem Großteil aus Marktweibern zusammensetzte, dass an seiner Spitze mit Maillard jedoch ein von den Frauen vor dem Rathaus ausgewählter Mann stand. Auch der zweite, zahlenmäßig überlegene Zug der Nationalgardisten könnte nahezu so verstanden werden, dass man dieses wichtige Ereignis in Vorahnung eines Wendepunktes der aus der Revolte eine Revolution hätte machen können, nicht den Frauen überlassen wollte. Traute man es ihnen nicht zu, dass sie sich in Versailles vor dem König ordentlich positionieren können? Oder hatte man einfach die Intention, sie mit Waffengewalt zu unterstützen?
Tatsache ist, dass der gesamten Aktion zunächst keine größere Planung zugrunde lag, denn kaum eine der Partizipanten hatte daran gedacht, sich mit größerem Proviant einzudecken. Der Zug war also von Spontaneität geprägt, ja nicht einmal die Zwangsrückkehr des Königs war vor dem Abmarsch als eindeutiges Ziel definiert worden. Der Zusammenhalt der Gruppe ergab sich weniger aus gemeinsamen Absichten, als aus ihrer Zusammensetzung. Schließlich nahmen Frauen aus verschiedensten sozialen Schichten an dem Aufstand teil: Arbeiterinnen des Vorortes St.Antoine und Frauen der Pariser Halles genauso wie Frauen aus dem bürgerlichen Milieu. Der gesellschaftliche Status schien also gebrochen, das einheitliche Geschlecht stärkte den Gruppenzusammenhalt. Jede Dame musste den stundenlangen Marsch in Kauf nehmen und wurde vom Regen durchnässt.
Kein Konzept, aber eine temporäre Beseitigung der gesellschaftlichen Statusunterschiede. Hätte dieser leicht bewaffnete Zug das Potential gehabt, den König zur Rückkehr in die Mitte des Volkes zu zwingen? Wie stand es überhaupt mit der Relation von Weiblichkeit und Gewalt zu Beginn der Revolution? Die Frau wurde vor 1789 als nährende Mutter betrachtet, als der zeugende Teil der Bevölkerung und diese Eigenschaft sollte ihr mit der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht mit noch höherer Betonung zugeschrieben werden. Dieser Widerspruch zwischen Zeugung und Zerstörung sollte die Darstellung der Frau in der revolutionären und sogar noch in der nachrevolutionären Zeit prägen. Eine Marianne steht einer Marseillaise gegenüber. Trotz allem erscheint mir der Marsch der Marktweiber vielmehr als eine große Ausnahme. Mit dieser plötzlichen Offenbarung weiblicher Aggressivität hatten wohl auch die Zeitzeugen nicht gerechnet – weder die Männer noch die Frauen.
Natürlich hielten auch Frauen spätestens nach der Verkündigung der „antipatriotischen“ Geschehnisse in Versailles unter angeblicher Anwesenheit des Königs vermehrt aggressive Reden im Palais Royal oder an anderen revolutionären Brennpunkten. Doch Worte sind keine materiellen Waffen. Ab dem 3.Oktober stieg die Spannung in der Hauptstadt und somit auch die Option auf eine Art gewaltsamen Präventivschlag gegen den König. Bereits mit dem Bastillesturm war die Forderung aufgekommen, den Monarchen in die Hauptstadt zurückzuholen, doch erst die Zuspitzungen während des Oktobers und vor allem das Phänomen der Masse verwirklichten diese Idee.
Dass die Marktweiber tatsächlich zu aktiver Gewaltanwendung fähig waren, zeigen, so glaube ich, vielmehr die Ereignisse in Paris und jene während des Marsches, als die Geschehnisse in Versailles. Der Zeitzeugenbericht einer gewissen Madame Chéret erzählt von der Wut der Dames, als ihnen die Auslieferung von Waffen verweigert wurde und davon, dass man vorhatte, die Verantwortlichen für die Ablehnung zum nächsten Galgen zu bringen. Ihre Überlieferung enthält auch Berichte über Ausschreitungen gegen Bäcker und erzwungener Partizipation diverser Frauen während des Marsches. Am Point-du-Jour soll sich der Zug sogar geordnet aufgestellt haben, als ob man militärische Eigenschaften zum Vorschein bringen wollte.
Als man jedoch in Versailles ankommt, scheint sich diese Euphorie und die prinzipielle Zuneigung zur Gewaltanwendung nach und nach zu verlieren. Natürlich bedarf es eines gewissen Selbstbewusstseins, welches innerhalb der Masse ermöglicht wird, um in die Stadt des Königs zu marschieren. Jedoch standen Aufständische bereits am 2.Mai 1775 wenn auch nicht direkt vor dem Schloss, so doch vor dem überdachten Mehlmarkt der Residenzstadt. Die Guerre des Farines während des ersten Regierungsjahres Louis XVI. wurde letztendlich durch massiven Einsatz der Ordnungsorgane seitens der Obrigkeit beendet. Niemand konnte 1789 versprechen, dass der König diesmal nicht zu gewaltsamen Mitteln greifen würde.
Genau hier kommt, so glaube ich, die Komponente der Skepsis dieses ersten Zuges ins Spiel. Die Struktur und Ordnung dieser weiblichen Masse verschwand in Versailles zunehmend, da man nun keinen Plan mehr hatte. Dies führte natürlich zu der Frage, wer nun die Führung übernehmen und das weitere Vorgehen bestimmen sollte. Ausgerechnet ein Mann, nämlich bereits erwähnter Maillard wurde als Sprecher der kleinen Abteilung ausgewählt, die zum König zugelassen wurde. Man muss also trotz allem vermutlich von einem eher beschränkten Selbstbewusstsein der Akteurinnen ausgehen, nahezu so, als ob man sich selbst mit dieser spontanen Tat überrascht hatte. Vielleicht dachte man auch daran, dass einer Frau nicht der gleiche Respekt entgegen gebracht worden wäre. Zudem der Aspekt der Unsicherheit, der dazu führte, dass weite Teile der Gruppierung in die Passivität verfielen. Niemand hatte eine gezielte Ahnung, wie die oberste Macht reagieren würde und schließlich war der König noch immer der König.
Madame Chéret erzählt eine andere Geschichte. Charakterstark, führend, ja sogar heldenhaft seien sie aufgetreten, die Frauen. Es fallen starke Ausdrücke wie „unsere guten Freundinnen“, die „gebürtigen Französinnen“ oder beispielsweise „unsere Bürgerinnen“. Vor allem aber berichtet sie von einer enormen Zielstrebigkeit: „Trotz der Furcht, die unsere guten Freundinnen unter den Hosenmätzen gesät hatten - mehrere verließen gar die Versammlung - glaubten die ehrenhaften Mitglieder der Nationalversammlung zu erkennen, dass sie absolut entschlossen seien, solange nicht auseinanderzugehen, wie noch etwas endgültig festgelegt werden müsse.“ Im Sitzungssaal der Nationalversammlung ging es hauptsächlich darum, geregelte Getreidepreise festzulegen.
Dieser Glorifizierung steht hingegen der Bericht des Schweizer Besuchers der Nationalversammlung DuMonts entgegen. Er betont die Strukturlosigkeit der Menge und meint zur Forderung der Marktweiber nach Mirabeau nur: „Aber Mirabeau war nicht der Mann, der bei solchen Gelegenheiten seine Kräfte verschwendete, und seine Beliebtheit beim Volk war, wie er sagte, nicht Beliebtheit beim Pöbel.“ Auf der anderen Seite berichtet er auch von einem Fischweib, das in der Nationalversammlung anfing zu kommandieren, wobei Mirabeau zuvor einen Teil der Meute dazu gebracht hatte, den Sitzungssaal wieder zu verlassen. Waren es also einzelne radikale Frauen oder war es eine in sich geschlossene aktive und aufständische Masse, die diese spontane Bewegung führte?
Für die erste Vermutung sprechen meiner Meinung nach zwei grundlegende Argumente: Zunächst befand sich die Revolution zum Zeitpunkt der Oktobergeschehnisse noch in ihren Fußstapfen, was bedeutet, dass sich die Radikalität und der ausartende Aktionismus, auf den man später während der Terreur trifft, noch in Grenzen hielten. Jene, die die Einrichtung des Königtums, wenn auch mit verschobenen Parametern, nach wie vor befürworteten, waren deutlich in der Überzahl und die Rückführung des Königs war zwar eine fixe Idee des Zuges, jedoch zeigte man bei der Ausführung selbiger wenig Initiative. Auch die Absicht, die man mit der Überführung der königlichen Familie verfolgte war zunächst weniger die totale Observation des Regenten, als vielmehr die Sicherstellung der Brotlieferungen in die Stadt – ein weiterer Aspekt geringer Radikalität. Viele Frauen waren, ganz im Gegensatz zum 10.August 1792 also eher passive Partizipanten, als aktive Mitgestalter.
Zudem zieht ein beachtlicher Teil der Menge nach der mündlichen Zusicherung der Brotlieferungen und des Abzugs des Flandernregiments seitens des Königs wieder ab, gerade so, als hätte man nie mehr gewollt. Selbst Jene, die in Versailles bleiben, werden zwar wütender, da sie kein schriftliches Dokument vorgelegt bekommen, fordern aber dennoch keine ausdrückliche Rückkehr des Königs nach Paris, geschweige denn, dass sie aktiv mit Waffengewalt drohen, was auch damit zusammenhängen muss, dass die Menge nur leicht bewaffnet war, während dem König nach wie vor Leibgardisten höherer Waffengattungen zur Seite standen. Die Masse an sich wirkt also ein wenig ratlos, unentschlossen und wartet, wie der Monarch auf der anderen Seite, zunächst ab. Als er sich gegen 22 Uhr schließlich doch dazu entscheidet, die Annahme der Augustdekrete und der Menschenrechtserklärung zuzusichern, verfällt die Menge vor dem Schloss gänzlich in die Passivität.
Somit kann man resümieren, dass es, solange der Großteil der Menge aus Frauen bestand, zu keinen gröberen gewaltsamen Zwischenfällen in Versailles kam. Insofern stellte der Marsch der Marktweiber nach Versailles gar keine so große Novität dar. Solange die Frauen unter sich waren, waren sie im Prinzip nicht zerstörerischer, als bei früheren Brotaufständen. Diese Form der weiblichen Aktivität im öffentlichen Raum, die in Versailles zum Vorschein kam, war, mit der wesentlichen Ausnahme, dass nun auch in großem Maße politische Forderungen ins Spiel kamen, den Zeitgenossen im Grunde bereits bekannt.
Zwei wesentliche Argumente erklären – anders als 1775 - die Vermeidung von Gewalt seitens des Monarchen gegen die Aufständischen: Einerseits war die Masse dieses ersten Zuges tatsächlich nicht unbeachtlich, andererseits bestand ebenjene aus Frauen. Vor allem aber, und dies erscheint mir als ein durchaus überlegenswerter Gedanke, war ein hartes Durchgreifen auf Grund der Passivität der Menge zunächst gar nicht nötig. Im Gegenteil – er hätte damit die Aktivität der sich in Versailles befindlichen Meute riskiert.
Viel mehr Sorge machte Louis XVI. die anrückende Nationalgarde aus Paris. Erst als er über diesen zweiten Zug in Kenntnis gesetzt wurde, spielte er mit dem Gedanken der Flucht nach Rambouillet. Man könnte sich also die Frage stellen, ob der König ohne den Druck von 15.-30.000 wesentlich besser bewaffneten Nationalgardisten nach Paris zurückgekehrt wäre. Erst mit der Ankunft der Soldaten hatten die Aufständischen – nun aus Frauen und Männern zusammengesetzt – ein konkretes Machtmittel, mit dem sie den Monarchen in Bedrängnis bringen konnten. Zudem kam es erst am 6.Oktober, unter Anwesenheit der Nationalgardisten, zu gewalttätigen Konflikten zwischen den Rebellen und der Leibgarde Louis XVI., im Zuge derer die ersten Opfer zu beklagen waren. Nun war es für den Regenten zu spät, in die Offensive zu gehen, denn nun war die Masse aktiv geworden und darüber hinaus übermächtig. Es blieb ihm nur mehr die Abreise ins Tuilerienschloss. Der Mythos Versailles war vorerst gefallen.

Dass der Aufstand trotz allem ein sehr riskantes Unterfangen war und somit sehr wohl für den Mut der teilnehmenden Frauen spricht, zeigen die vielen Verhaftungen und Zeugenvernehmungen nach den Ereignissen des 5. und 6. Oktobers – wenngleich es auch schon bei früheren Brotaufständen zu ähnlichen Gegenmaßnahmen kam. Dies bedeutet, dass der Status des Königs rechtlich-ideell nach wie vor Bestand hatte. Interessanter Weise wurde aber nur eine einzige Person des Hochverrats angeklagt und diese war eine Frau. Als wollte man ein Exempel statuieren, einen Sündenbock finden und klar und deutlich machen, dass das weibliche Geschlecht ihre Rolle nicht im politischen Aufstand zu suchen hätte. Louise Reine Audu musste diesen Typus der getadelten Frau verkörpern, bis sie von der späteren allgemeinen Amnestie profitierte.
Nach all diesen Geschehnissen scheint es schwierig zu verstehen, wie die neuen Eigenschaften der Frau mit der antiquiert-chauvinistischen Auffassung dieses Geschlechts seitens der Revolutionsführer harmonieren konnten. Diese vertraten ja nach wie vor die grundlegende Meinung, die Frau sei von nährender Funktion geprägt und müsse vorwiegend eine gute Mutter sein – meist verkörpert durch die Idealfigur der Marianne. Allerdings war die neue Rolle der Frau gar nicht so sehr zum Vorschein gekommen, ja man konnte sie sogar geschickt umgehen. Denn wenn man es darauf anlegte, hätte man es so auffassen können, dass der Marsch des 5.Oktobers ganz im Zeichen der Frau als Ernährerin der Familie stand, die schlicht und einfach nur Brot holen wollte. Das militärische Potential und die Verwirklichung politischer Forderungen konnten nach wie vor als Aufgaben der Männer angesehen werden.
Letztendlich liegt vielleicht im fehlenden Gewaltpotential dieses ersten Zuges eine der Ursachen für das Ausbleiben eines politischen Siegeszuges der Frauen während der Revolution. Sie mochte nun Bürgerin oder Französin genannt werden, doch die alten Bilder konnten nicht wirklich zerstört werden. So wurden Frauenclubs später wieder aufgelöst und emanzipatorische Forderungen großteils einfach überhört.

Am 4.Oktober 1789 hatte Marat das Volk im Ami du Peuple noch zu den Waffen aufgerufen. Er sprach von Verschwörung, von antipatriotischen Orgien in Versailles sowie von großer Unruhe in Paris. Der Zeitungsbericht offenbart also, dass man mit einem baldigen Konflikt hatte rechnen können, allerdings war logischerweise nicht die Rede von einem direkten Stoß gegen den König.
Gezielt an Frauen richtete er sich aber keineswegs, er regte such nicht zu einem Brotaufstand an. Dies zeigt einerseits, dass es sich wirklich um eine höchst spontane Erhebung handelte und dass darüber hinaus wohl niemand damit gerechnet hatte, dass Frauen zu so einer Tat fähig wären.
Am 8.Oktober, nur 27 Tage nach der ersten Ausgabe des Blattes, schrieb Marat weiters, dass die Revolutionstruppen nun „wieder mit dem Schutz unseres guten Königs beauftragt“ seien. Über die Rolle der Frauen, ihre Anteilnahme und den Marsch nach Versailles verliert er kein Wort. Für ihn sind sie alle nur Mitbürger und insofern stellt er dieses Ereignis keineswegs als eines dar, dass der modernen Wissenschaft zufolge vorwiegend von Frauen getragen wurde.

Spätestens seit Napoléon I. wurde im Prinzip alles versucht, um aus den Champs-Élysées einen den Männern gewidmeten Ort zu machen, was dazu führte, dass die kurze weibliche Umwidmung des 5.Oktobers zunichte gemacht wurde. Noch heute ist die Avenue, nicht zuletzt aufgrund der alljährlichen Militärparade ein Ort der Männlichkeit – wenngleich man darüber streiten könnte, welche Genderbesetzung eine Shoppingmeile letztendlich besitzt.
Schmale - 8. Jul, 21:57

Schmale

Der Arc de Triomphe, sozusagen stellvertretend für den toten Napoleon, herrscht noch immer über das Volk auf den Champs Elysées. Es ist ein reizvoller Gegensatz zwischen, sagen wir der Einfachheit halber, androgynem Publikum auf der Prachtstraße und dem herrschenden Triumphbogen. Es scheint schwer, diese Bedeutung zu überlagern.
Es wäre denkbar, nach weiteren Zeichen an den C.E. Ausschau zu halten. An der Place de la Concorde sind weibliche Allegorien zu finden, ich habe selber noch nicht so sehr auf die übrigen Gebäude geachtet; durch die Baumalleen treten sie in den Hintergrund wie die Skulpturen. Aber wer weiß, was sich bei genauerer Betrachtung zeigt.
Oben im Text würde ich statt "zeugenden Frauen" "gebärende Frauen" schreiben, was Sie offenesichtlich meinten.
Es sind sehr spannende Aspekte, die Sie der Achse abgewinnen.

Schmale - 9. Jul, 14:21

Schmale

Nachträge: Das Kapitel zu Versailles in Pierre Nora, Lieux de mémoire, relativiert den "Bruch" zwischen Louis XIV und Paris; könnte zur Differenzierung der Argumentation beitragen.
Neben Invalidendom wurde auch die Kirche Val de Grâce gebaut; auch so ein "Auge" Louis' in oder über Paris.

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