Verfall des königlichen Mythos und Entkörperung des Monarchen? Problem des Prozesses und der Hinrichtung eines Unantastbaren.

In diesem Blogeintrag will ich mich der näheren Analyse der Hinrichtung des ehemalig absoluten Königs Louis XVI. zuwenden. Anhand von zwei recht unterschiedlichen Tagebüchern und mehreren revolutionären Zeitungen werde ich versuchen die zeitgenössische Auffassung und Interpretation dieses einmaligen Ereignisses näher zu verstehen.
Darüber hinaus erscheint es mir als wichtig, das vom Konvent angestrebte Konzept, welches diesen Akt der Hinrichtung begleitete oder zumindest begleiten sollte, zu beleuchten. Dabei stellt sich die Frage, welche Schritte unternommen werden müssen, um eine bis dato unantastbare Person verwundbar zu machen, sie völlig der Gewalt der neu entstandenen Ordnung auszuliefern. Zwei Schritte sind mir im Zuge der Quellenbetrachtung hierzu besonders aufgefallen: Zunächst die Zerstörung des königlichen Mythos und schließlich die Herabwürdigung des königlichen Körpers. Inwieweit diese für die Hinrichtung eigentlich notwendigen Aspekte verwirklicht werden konnten, beziehungsweise in welchem Maße diese Transformationen des königlichen Status auch in den Köpfen der Bevölkerung Fuß fassen konnten, kann man erstaunlicher Weise relativ gut mittels der originalen Quellen feststellen.

Die Entkörperung des Monarchen hing von zwei grundsätzlichen Entwicklungen ab – der Intensivierung der politischen Karikatur, die bereits vor 1789 stattfand, sich während der Revolution aber nochmals verstärken sollte und der Neusetzung von Körpermetaphern seitens der revolutionären Führungsschicht.
Es lässt sich darüber streiten, ob Louis XVI. de facto ein wenig talentierter Herrscher war, oder ob vielmehr die politisch- wirtschaftlichen Krisen Frankreichs im 18.Jahrhundert seine scheinbare Handlungsunfähigkeit in den Vordergrund rücken ließen. Zwar gab es sowohl im Volk als auch in der Elite zunächst durchaus Stimmen, die seine Regentschaft nach jener Louis XV. begrüßten; schließlich hatte dieser im Zuge des Konflikts mit den parlements Frankreich noch einmal den absolutistischen Stempel aufgedrückt und somit den Handlungsspielraum seiner Untertanen gehörig eingeschränkt. Louis XVI. agierte dem entgegen gleich zu Beginn seiner Regentschaft wesentlich liberaler, wenngleich die Niederschlagung des Aufstandes während der guerre des farines dem entgegen sein Gewaltpotential unterstrich. Der neue Herrscher setzte noch 1774 das Pariser parlement in seiner alten Form ein und schaffte auch rasch die neuen Steuern für Adel und Klerus wieder ab. Die unter Louis XV. begonnene Reform des Absolutismus wurde also nicht weitergeführt.
Jedoch wurden etwa Nachgiebigkeit und Unentschlossenheit sowie die defensive Politik im Allgemeinen erst dann zu negativen Eigenschaften des Herrschers, als die Krise des französischen Staates und seiner höchsten Instanz zu einer revolutionären Bewegung an sich führte. Je stimmkräftiger der dritte Stand wurde, je vehementer das Volk in Paris die Aufmerksamkeit auf sich zog, desto mehr geriet Louis XVI. tatsächlich ins Schwanken. Die Faiblesse des wankenden Monarchen war somit nicht nur mehr ein partieller sondern der wesentlichste und bald schon – zumindest in der Vorstellung weiter Teile der breiten Volksmasse – der einzige Charakterzug des vermeintlich absoluten Herrschers. Natürlich war der fortschreitende Verlust der totalen Macht nicht die notwendige Entwicklung für den Beginn der politischen Karikatur – diese gab es schon lange Zeit davor. Allerdings wurde neben der allgemeinen Verdichtung eine zweite und mit Marie Antoinette sogar eine dritte Komponente ins Programm der Verhöhnung mit aufgenommen. Anders als bei den Monarchen vor Louis XVI., die hauptsächlich auf Grund ihrer ausufernden Hofhaltung und der Überbetonung ihres Status zum völkischen Gespött wurden, wurde dem Monarchen der Revolution zusätzlich politische Unfähigkeit und seiner Gattin sexueller Untrieb vorgeworfen.
Bestimmt hatte Louis – unter dem Blickwinkel der Erhaltung der alten Machtverhältnisse – im Zuge bestimmter Entscheidungsprozesse kein großes Feingefühl bewiesen. Der Wechselkurs rund um die Verteilung der Gewalt innerhalb der Generalstände und die Absetzung Neckers stellten dies nur allzu gut unter Beweis. Es ist anzunehmen, dass er schon damals auf Grund des zunehmenden politischen Drucks zumindest teilweise zu einer Marionette einer Kamarilla unter der maßgeblichen Initiative Marie Antoinettes und des Comte d’Artois stand. Dieses Image eines stets geleiteten und beeinflussbaren Hampelmanns sollte ihm bis zu seiner Hinrichtung erhalten bleiben. Speziell nach der Flucht aus dem Tuilerienschloss präsentierten viele Karikaturen die Gattin des Königs als jene Person, die die Fäden in der Hand hielt und die den König zur Feindlichkeit gegenüber der Republik, ja sogar zum Hochverrat verleitete. Louis XVI. war beinahe zu einer lächerlichen Begleiterscheinung seiner Frau geworden.
Gerade die Herabwürdigung seines Status beziehungsweise sein Stellenwert zum genauen Zeitpunkt des Prozesses sollte dem Konvent aber zum Verhängnis werden, da er schwer in das Programm der Hinrichtung zu integrieren war. Es wäre falsch anzunehmen, dass der königliche Mythos, welcher die Unantastbarkeit des absoluten Monarchen zum Grundsatz hatte, erst mit dem Fall des Beils gebrochen wurde. Die Zurückdrängung dieses herrschaftlichen Ideals hatte schon lange davor ihren Anfang genommen. Je länger Louis XVI. regierte, beziehungsweise je radikaler die revolutionäre Bewegung vorging, desto mehr wurde der unentschlossene und fast schon schüchterne Charakter propagiert. Man könnte fast meinen, dass die gesamte Autorität des Monarchen von Anfang an weniger seiner Person, als vielmehr dem traditionellen Status des Königs entsprang. Somit waren für die öffentliche Meinungsbildung die Parameter gesetzt; teilweise fiktive Karikatur und politische Realitäten – sprich de facto ungeschickte Entscheidungen des Monarchen – verliefen parallel zum allmählich beginnenden Bruch des königlichen Mythos.
Die Distanz des Hofes zum Pariser Volk sollte sich in diesem Zusammenhang als verheerend auswirken. Louis XVI. hatte den Kontakt und somit das Gespür für die Grundbedingung seines Wohlstandes verloren, ergo für seine Untertanen. Er lebte im Grunde in einer Art Traumwelt – von kurzen Parisaufenthalten abgesehen, waren die Generalstände nun die direkteste Verbindung zum dritten Stand. Dieses mangelnde Feingefühl zeigt sich etwa in der Absetzung Neckers. Die Aufforderung zum Rücktritt wurde dem Finanzminister an einem Sonntag übermittelt, dem Tag, an dem die Generalstände nicht tagten. Jedoch hatte der König im Zuge jenes schicksalhaften Vorgehens ganz einfach die Einwohner der größten Stadt seines Reiches vergessen, die am Sonntag ihren einzigen arbeitsfreien Tag in der Woche hatten. Im Palais Royal, wo an diesem Tag Menschen aus den unterschiedlichsten sozialen Schichten zusammentrafen, war es für die politische Hetze nun auf einmal recht günstig geworden, einen Monarchen zu haben, der sich offensichtlich eher der Jagd, als den Staatsgeschäften widmete. Zudem seine verhasste Frau, die schon früh für Gesprächsstoff in den Cafés, den Salons und den Märkten von Paris gesorgt hatte.
Einhergehend mit der steigenden Gewalt der Handlungen seitens der Revolutionäre, wurde auch die Karikatur aggressiver. Sie zeigte Louis nicht nur mehr als unfähig, die Finanzkrise des französischen Staates zu bewältigen, sondern immer öfter auch als einen bösartigen Mann, der das Elend seines Volkes nahezu beabsichtigte und dazu – was sich in der Folge als noch schlimmer erweisen sollte – als eine Person geistiger Labilität. Diese ihm zugeschriebene Eigenschaft richtete sich nicht mehr gegen seine Handlungen und nicht ausschließlich gegen seinen Mythos. Sie griff in direkter Art und Weise seinen Körper an. Seine Gattin, die als sexuell unersättlich und zudem als schlechte Mutter betrachtet wurde, hatte den körperlichen Status schon wesentlich früher verloren.
Spätestens nach dem Fluchtversuch aus dem Tuilerienschloss, war der Vulgarität in den Karikaturen keine Grenzen mehr gesetzt. Eine Abbildung zeigt beispielsweise die königliche Familie, die in einem Karren nach Paris zurückgezogen wird. Ihre Körper waren nicht mehr jene von Menschen, sondern jene von Schweinen. Der ehemalige Absolut hatte also nicht nur den ihm zugeschriebenen Mythos, sondern nun auch seinen Körper verloren; die Unantastbarkeit des Monarchen, die während der Glanzzeit des Absolutismus kaum jemand ernsthaft in Frage gestellt hatte, war auf einmal verloren gegangen. Mit diesem Prozess der Entkörperung war der Topos des schwachen Herrschers weiter vorangetrieben, ja nahezu besiegelt worden.
Nun stand der Konvent, der den Prozess zu führen und die Hinrichtung zu beschließen hatte, vor einer ebenso schwierigen, wie unangenehmen Frage: Wie sollte man dem Volk den Angeklagten präsentieren? Die revolutionäre Führung sah sich einer Diskrepanz ausgeliefert, die selbst mit dem Akt der Hinrichtung nicht behoben werden konnte. Bis zum Stichdatum des 21. Jänners 1793 hatte man alles unternommen, um den König zu einer vom Volk abhängigen Person zu machen. Man stellte ihn als handlungsunfähig und sogar als Behinderten dar, zeigen ihn manche Karikaturen doch mit einem Fahrgestell, ohne welches sich der Monarch gar nicht mehr hätte fortbewegen können. Man macht ihn lächerlich, entmündigt ihn, stellt ihn mit dem Daumen im Mund wie ein Kind dar. Würde man hierzu eine charakteristische Zeichnung betrachten, könnte man fast meinen, die darauf abgebildete Person sei unzurechnungsfähig und völlig geistesabwesend. Man könnte jetzt darüber streiten, ob der König, je länger er unter mehr oder weniger strenger Observation lebte, tatsächlich den Bezug zur Realität verlor und womöglich schon nicht mehr ganz bei Sinnen war - wobei die noch lang geführten Korrespondenzen mit diversen Höfen eher dagegen sprechen würden. Fakt ist aber, dass sich die Karikatur als meinungsbildendes Medium dieses neuen Bildes des nicht mehr unantastbaren Königs bediente.
Der Konvent musste diesem Bild entgegen wirken und alles versuchen, die Flucht und den Hochverrat an der Republik als ganz bewusst intendierte Handlungen Louis XVI. darzustellen. Die eigentlich unvorstellbare Hinrichtung konnte erst dadurch realisiert werden, da man dem Pariser Volk den ehemaligen König als bösartig und berechnend präsentierte – dies war die Rechtfertigung, die die neue Spitze des Systems benötigte und ebenso das Ziel, welches man mit der Kreierung neuer Körpermetaphern beabsichtigte.
Denn das stufenweise geschehende Procedere der Entkörperung, welches neben den dem Volk als durchaus beabsichtigt verkauften antirepublikanischen Handlungen des Königs eine essentielle Grundbedingung der Exekution darstellte, ging nicht nur auf die Ausuferung der antiroyalistischen Karikatur zurück, die sich während der Revolution durch alle sozialen Schichten zog und mit dem Aufblühen der Café- und Salonkultur auch eine geeignete Lokalität gefunden zu haben schien.
Die Propaganda der revolutionären Elite in Frankreich hatte eine neue Idee der Körpermetapher entworfen. Im Ancien Régime stand der Körper des absoluten Monarchen noch symbolisch für das gesamte Königreich. Dies bedeutete, dass sich die königliche Köpermetapher jeden Franzosen ungeachtet des sozialen Ranges oder etwa des Geschlechts einverleibte. Um dieses Konzept zu vermarkten besetzte der Herrscher die öffentlichen Räume Paris’ mit Statuen, die seinem Abbild entsprachen und die die Aufgabe hatten, dieses allumfassende Ideal somit im wahrsten Sinne des Wortes zu verkörpern.
Mit der großen Revolution Ende des 18.Jahrhunderts wurde jene Vorstellung eines vollkommenen, königlichen Körpers aber gebrochen. Die neuen Autoritäten mussten die alte Körpermetapher zerstören, um stattdessen ein Ideal zu erschaffen, welches die versprochene Ordnung der Gesellschaft nach dem Prinzip der Gleichheit verkörpern konnte. Ziel dieses Vorhabens war die Kreierung eines universalen Körpers, mit dem sich jeder Mensch identifizieren konnte. Später sollte die Funktion dieses neuen Bildes eines repräsentativen Menschen als politisches Instrument noch offensichtlicher werden, als die Terreur vor keinem Individuum Halt zu machen brauchte, da doch alle, zumindest ideell betrachtet, gleich waren.
Die Propaganda der revolutionären Führungsschicht beschloss, dass nur ein neuer, regenerierter Körper die neue, endlich gesundete und von der Krankheit der Statusunterschiede geheilte Gesellschaft wiedergeben konnte. Schließlich entstand ein rationaler und zumeist kolossaler Körper, der seine soziale Herkunft zu verstecken schien. Ein Idealbild, das ein vermeintlich höheres Potential der Bewegungsfreiheit besaß und besser proportioniert war; ein Heiliger, dessen Tugenden Gleichheit und Freiheit waren.
Notgedrungener Maßen musste sich beim Versuch der Darstellung von Brüderlichkeit ein großes Problem ergeben. Gleichheit lässt sich durch ausgewogene Proportionen visualisieren, Freiheit durch Bewegung. Brüderlichkeit aber kann man mit einer einzelnen Skulptur kaum wiedergeben. Zudem muss der Protagonist der Brüderlichkeit im Prinzip männlichen Geschlechts sein. Insofern lässt sich der Erfolg der Marianne vermutlich eher aus der traditionellen Präsentation von Tugendhaftigkeit durch Frauen, sowie durch ihre Rolle als nährende Mutter der Nation erklären.
Das Endprodukt dieser Neukreierung war die Abschaffung der alten monarchistischen Repräsentation des Staates, welche auf der traditionellen Metapher des königlichen Körpers basierte. An ihre Stelle trat ein neuer politischer Körper: Jener des Bürgers, der als Garant für die Souveränität der neuen Macht auftreten sollte.
Die dem Monarchen zugeschriebene Machtlosigkeit, sowie das ihm vorgeworfene politische Unvermögen, die Vorstellung des körperlichen Martyriums im Dienste der Republik oder etwa die Darstellung politischer Gegner als Monster, Tiere oder sexbesessene und triebgeleitete Personen führten unmittelbar zur Transformation der dominierenden Körpermetapher während der französischen Revolution und somit zur Entkörperung des ehemals durch den absoluten und unantastbaren Corpus gekennzeichneten Monarchen.
Bis zum Prozess gegen den König und die darauf folgende Hinrichtung schienen diese Entwicklungen, ergo der Verfall von Mythos und Corpus, den neuen Autoritäten kaum Schwierigkeiten zu bereiten. Zwar gab es im Jahre 1793 und auch noch danach in versteckter Form etliche Anhänger der Monarchie - wenngleich vermehrt in konstitutioneller Form. Aber für die radikalen Strömungen, die sich bereits mit immer mehr Aggressivität für die Abschaffung des Königtums eingesetzt hatten, war diese Entwürdigung der alten Ordnung womöglich gar notwendig, um das kommende totalitäre Regime zu gebären. Auch die Exekution war unter dieser Betrachtung eine Notwendigkeit geworden, denn hätte man den des Hochverrats angeklagten König freigesprochen, so hätte man die Republik und somit die Revolution als Ganzes in Frage gestellt. In dieser prekären Lage musste die Hinrichtung, zumindest aus Sicht der radikalen Teile des Konvents, stattfinden. In dem von teilweise selbst erzeugtem Zeitdruck gekennzeichneten Verfahren schien die Ausschaltung der Gegenparteien weniger Problematiken aufzuwerfen, als die Frage, wen man denn nun hinrichtete. Die Karikatur sowie die Transformation der Körpermetapher hatten einen nahezu unzurechnungsfähigen Menschen entstehen lassen.
Vor dem Konvent konnte man eine derart labile Persönlichkeit aber nicht auftreten lassen. Das Konzept, dass man stattdessen verfolgte war die totale Neutralisierung des ehemaligen Monarchen, aber selbst hierbei ergaben sich diverse Schwierigkeiten. Denn Louis XVI. war zu Louis Capet geworden, fast so, als hätte man einen König nicht, einen normalen Bürger aber sehr wohl hinrichten können. Nun war der Bürger aber der Idealmensch der Revolution und ausgerechnet diesen hatte man nun umzubringen. Insofern könnte man dieses Vorgehen als erste große Niederlage des Konvents innerhalb der Geschehnisse rund um die Exekution werten. Nicht die alte Ordnung, sondern ein gleiches Mitglied der neuen Gesellschaft wurde verurteilt. Im Grunde entwürdigte man Louis indem man ihn zu einem Bürger machte, was einer Geringschätzung und gar einer Abwertung des Bürgers an sich gleich kam.
Zudem hätte man während der Schreckensherrschaft, sofern ein König gerichtet worden wäre, das politische Druckmittel auf die Gesellschaft deutlich forcieren können; nach dem Motto: Wenn wir einen unantastbaren Menschen töten können, dann können wir problemlos jeden einfachen citoyen beseitigen.
Auf der anderen Seite war die neutrale Basis, die man mit dieser Statusverschiebung erzeugt hatte, der Ausgangspunkt für einen scheinbar rationalen und somit vermeintlich gerechten Prozess. Wäre Louis als König aufgetreten, so hätte man ein ideologisches Argument gehabt, ihn zu richten: Als ranghöherer Mensch wäre er nicht kompatibel mit einer Gesellschaft gewesen, welche durch das Prinzip der Gleichheit geformt wurde.
Dadurch, dass er nun ein einfacher Bürger war, musste man bereits einen besseren Grund finden, wodurch sich allerdings wiederum neue Diskrepanzen ergaben. Anstelle von königlicher Labilität in Bezug auf die Regentschaft seines Volkes warf man ihm nun bürgerliche Böswilligkeit und gezielte Intention in puncto Verrat der Republik vor. War Louis die Jahre davor als immer unfähiger dargestellt worden, so präsentierte man ihn auf einmal wieder als fähig, ergo als einen Mann, der sämtliche Taten mit großem Kalkül begangen hatte. Jedoch stellt sich die Frage, in wie weit diese kurzfristige Neubesetzung seines Charakters und seiner Eigenschaften tatsächlich auch in den Köpfen der Pariser Bürger Fuß fasste, denn schließlich waren diese die Zieldestination des neuen Konzepts. Oder hatten selbst die Karikatur und eine neue Körpermetapher nichts dazu beitragen können, den Status des Königs realiter zu brechen? Gab es einen Unterschied zwischen der Darstellung des Monarchen und der tatsächlichen Einstellung der Menschen diesem gegenüber?

Wilhelm von Wolzogen, im Jahre 1793 diplomatisch in Paris tätig, berichtet in seinem Tagebuch sehr genau von den Ereignissen, die sich rund um den 21.Jänner in der französischen Hauptstadt abgespielt haben. Bereits eine Woche vor der Exekution verordert die convention eine Maßnahme, die die Nervosität offenbart, welche die radikale Gruppierung der Versammlung in Hinsicht auf die Entscheidung zwischen Leben und Tod eines ehemals Unantastbaren hatte. Am 14.Jänner, als der Konvent über die Frage des Hochverrats und die damit in Verbindung stehende Strafe debattiert, soll „im Interesse der öffentlichen Sicherheit“ die erste Etage eines jeden Hauses beleuchtet werden. Nervosität ist ein Zeichen von Unsicherheit. Dem Konvent war offenbar nicht bewusst, wie das Volk reagieren würde, wenn man ein Todesurteil verkünden würde – was wiederum die vielen Vorsichtsmaßnahmen erklärt, die unternommen wurden. Oder er wusste ganz genau, dass der königliche Mythos nach wie vor in den Köpfen vieler Menschen schlummerte, dass die royalistisch Gesinnten im Lande noch stark vertreten waren. Beides würde darauf hindeuten, dass Karikatur, reale Ereignisse und neue Körpermetaphern für große Verwirrung gesorgt hatten, was den Stellenwert des ehemaligen Staatsoberhauptes betraf. Wie hätte man also vorgehen sollen? Die alte Ordnung war zu beseitigen, um die erlangte Macht zu sichern und um sie schließlich zu totalisieren – jedoch wusste man nicht wirklich, welches Ausmaß besagte Ordnung noch hatte. Daher musste man den Weg der größtmöglichsten Neutralisierung einschlagen, die Hinrichtung als Nichtereignis verkaufen, zugleich aber auch mit allen Mitteln den reibungslosen Ablauf des Vorhabens gewährleisten.
Der Tod des ehemaligen Monarchen war in bestimmten Kreisen also mit dem Beginn der Verhandlung und vermutlich schon gewisse Zeit davor beschlossene Sache. Wolzogen präsentiert dem Leser die convention dennoch als nervös und desorientiert in ihrem Verhalten. Dies hatte jedoch weniger mit der Entscheidung an sich, sondern vielmehr mit der Durchsetzung Selbiger zu tun. Dabei gab es zwei große Problemgruppen: Einerseits die nach wie vor royalistisch Gesinnten in der Versammlung, andererseits die Anhänger des Königtums im Volk. Gerade Wolzogen, der, je näher das Datum der Enthauptung rückt, seine pro - königliche Einstellung zum Vorschein kommen lässt, ist ein gutes Beispiel dafür, wie der dem Konvent nach ehemalige Monarch durchaus noch gesehen wurde: Er schreibt keineswegs von Louis Capet, sondern bevorzugt die alte statusbetonende Form Louis XVI.
Als Louis am 15.1. der Vorwurf des Hochverrats gegen die Republik und des Attentats gegen die Freiheit gemacht wird, sei aus einer Ecke des Sitzungssaales ein „murmure de mécontement“ zu hören gewesen. Die Versammlung, die über die vielleicht größte Entscheidung der gesamten Revolution abzustimmen hatte war sich also keineswegs einig darüber, wie man den König – wenn überhaupt - zu bestrafen hatte. Daher mussten die Anhänger einer möglichen Hinrichtung alles versuchen, um ihr Anliegen so rasch und risikofrei wie möglich zu verwirklichen. Diverse Schriftstücke und Wortmeldungen, die für den ehemaligen Monarchen gesprochen hätten wurden als inhaltslos oder gar als Fälschung abgetan, was allerdings zur Unzufriedenheit vieler Abgeordneter führte.
Am 16. Jänner schreibt Wilhelm von Wolzogen in sein Tagebuch, dass man viel unternehmen würde, um die Deputierten einzuschüchtern, die offenbar nicht vorhatten, für den Tod des König zu stimmen. Zudem habe es in jenen Tagen nur selten Verhandlungspausen gegeben – ein Indiz dafür, dass die Radikalen der Versammlung diese politisch unangenehme Situation so bald wie möglich hinter sich bringen wollten. Denn wäre man die Sache gemächlicher und eventuell überlegter angegangen, so hätte womöglich eine Gegenpartei genügend Zeit gehabt, sich zu formieren und eine starke Opposition zu bilden.
An jenem Tag akzentuiert Wolzogen nochmals seine Sympathie für den Monarchen, indem er sein tiefstes Mitleid ausdrückt: Er leide an der Überstrapazierung seines Geistes und seines Körpers, an einem Nahrungsdefizit und an panischen Angstzuständen, was es ihm unmöglich machen würde, klar zu denken. Die Stadt selbst sei zu diesem Zeitpunkt noch recht ruhig gewesen. Jedoch muss man das ausbleiben von möglichen Ausschreitungen relativieren: Die Stille der Pariser Volksmasse wurde bestimmt nicht ausschließlich durch ihre Abneigung zum König erwirkt – unzählige Polizeikontrollen prägten das Bild der Straßen vor der unmittelbaren Hinrichtung. Außerdem ist es nicht klar, in wie fern das Volk über die Pläne des Konvents tatsächlich informiert war.
Am 17.1. fand die alles entscheidende Abstimmung im Tagungssaal des Konvents statt. Laut dem Diplomaten waren 369 Abgeordnete für die Exekution durch die Guillotine, wohingegen 319 mildere Strafen wie das Gefängnis oder etwa die Verbannung bevorzugt hätten. Jedoch zählte die convention de facto 745 Mitglieder. So wurden Abgeordnete, die sich in den Vorverhandlungen für eine mäßigere Vergeltung ausgesprochen hatten kurzerhand mit diversen Aufträgen vom Votum ferngehalten.
Am 18.1. wusste nun das Volk, dass der Mann, den sie früher womöglich nicht einmal zu Gesicht bekommen hätten, nun vor ihren Augen hingerichtet werden sollte. Und Wolzogen notiert tout à coup, dass „Alle Menschen nun […] nach dem Urteil angespannt“ seien und weiter: „Man könne die Furcht und die Hoffnung in jedem Gesicht erkennen“. Obschon dies recht theatralisch ausgedrückt sein mag – auf eine Gesellschaft, die sich von den Karikaturen und der neuen Körpermetapher zur Vorstellung eines absolut unfähigen Herrschers hat hinreißen lassen, lässt dies nicht direkt schließen. Und schon gar nicht auf eine Menschenmasse, die in sich geschlossen und einer Meinung war. Die Republik schien zwar vorläufig im ideellen Sinne eingerichtet zu sein, doch die Realität war wesentlich diffuser. Fakt ist, dass der kommende Akt, der den Todesstoß der alten Ordnung besiegeln sollte, auch im Volk ein enorm wichtiges Thema war; Wolzogen meint, dass in fast jedem öffentlichen Gebäude darüber geredet werde. Zudem sollen einige Abgeordnete, die den König verteidigt hatten, der Assemblée die Fälschung der Abstimmung vorgeworfen haben.
Doch die mächtigen Stimmen des Konvents verwerfen diese Forderung sofort. Bereits am 19.1.1793 wird das Todesdatum festgelegt. Wiederum werden Hektik und Nervosität offensichtlich. Wolzogen meint hierzu, dass das Interesse am König groß sei, jedoch – in Anspielung auf die sansculottes - weniger in den unteren Schichten der Bevölkerung. Er erklärt, dass dies verständlich sei, habe man doch in den letzten drei Jahren alles unternommen, um den Status des Königs zu vernichten. Am Ende des Eintrags ergänzt er noch: „Le roi devra mourir, et il n’est guère qu’un miracle qui pût le sauver.“
Am Tag darauf lehnt der Konvent die vom Verurteilten erbotene Gnadenfrist von drei Tagen zurück. Zudem ordnet er erneut die Beleuchtung der Häuser an, setzt eine noch größere Zahl an Sicherheitskräften ein und befiehlt, dass jeder, der um die Gnade des ehemaligen Königs flehe, ins Gefängnis zu werfen sei. Daraufhin herrsche in den Straßen „absolute Ruhe“, Paris sei überhaupt noch „nie so ruhig gewesen“. Diese Stille und die Starrheit der Bevölkerung entstammen aber nicht ausschließlich einem Gefühl des Mitleids gegenüber dem König, sondern spiegeln die Angst wieder, deren Erzeugung das offensichtliche Ziel der mit der Schreckensherrschaft beginnenden radikalen Fraktion war. Die Hinrichtung gab der neuen Autorität im Lande erstmals eine wirkliche Möglichkeit, mit einer Art Polizeistaat zu experimentieren. Wolzogen berichtet, dass sich vor allem Edelleute von der Straße fernhalten würden, da man ihnen royalistische Sympathien nachsage. Die angebliche Königstreue gibt er in einer persönlichen Schätzung wieder: Von den 500.000 Einwohnern gäbe es vielleicht 20.000, die den Tod des Monarchen wünschten, 100.000 seien diesbezüglich gleichgültig eingestellt, aber die Übrigen würden ihn gerne retten, wenn sie doch nur könnten. In diesem Sinne betrachtet er die neue Regierung als eine Art Diktatur der Tyrannei und legt damit schon recht früh die zukünftige Realität offen.
Der 21.Januar des Jahres 1793 konfrontierte die neuen Machthaber offenbar erneut mit einem Widerspruch im Konzept. Bis hierhin hatte man alles versucht, um die größtmöglichste Neutralisierung des Ereignisses zu erwirken. Üppige Präsenz von Gewaltpotential mittels der vielen Polizeistreifen in weiten Teilen der Stadt erzeugten de facto Angst, sorgten aber auch dafür, dass eine scheinbar gleichgültige Ruhe herrschte. Darüber hinaus wurde die Bewusstmachung des bevorstehenden Ereignisses gezielt minimiert, indem man zwischen der Urteilsverkündigung und der Vollstreckung kaum Zeit verstrichen ließ. In diesem Zusammenhang wäre es natürlich von Interesse, wie lange man bei gewöhnlichen Verurteilten nach dem Prozess mit der Exekution wartete. Prinzipiell verfolgte man jedoch die Idee, dass weniger Zeit notgedrungener Maßen auch zu weniger Möglichkeit der Wahrnehmung eines Geschehnisses führen musste. Ein Beispiel hierzu stellt das Grab Tutanchamuns dar. Ägyptologen sind sich heute weitgehend einig darüber, dass die kostbaren Schätze der Todesstädte deshalb erhalten geblieben sind, da es nie Grabräubern zum Opfer gefallen war. Dies wiederum hat aber die Ursache, dass man das Grab in kürzester Zeit errichtete. Auch die Todesprozession des von der Priesterschaft Thebens verhassten Pharaos fiel sehr spärlich aus. Ergo hatten eventuelle Grabräuber weniger Zeit, um zu erkennen, welche Reichtümer hier zusammengetragen wurden, ja dass überhaupt ein Grab an dieser Stelle errichtet worden war.
Die Neutralisierung war also bis zu diesem Schicksalstag relativ vehement angestrebt worden. Doch nun, als hätten die Urteilsfäller auf einmal erkannt, wen sie eigentlich hinrichteten, wichen sie ein wenig von ihrer Konzeptlinie ab. Von Wolzogen berichtet, dass man von fünf bis zehn Uhr Vormittags in den Straßen nichts anderes als absolute Stille vernehmen konnte, welche jedoch von „schrecklichem Trommelwirbel“ bedeckt war. Schenkt man dem Bericht glauben, so erscheint das offenbar immer wieder anklingende Geräusch doch als recht eigenartig. Hätte man auch bei einem „normalen“ Verurteilten die Felle der Trommeln fünf Stunden lang wirbeln lassen? Und wäre die Menschenmasse bei einem Allerweltsbürger der Fahrt zum Schafott im Zustand derartig unheimlicher Stille gefolgt? Der Konvent hatte es nicht geschafft, aus der Hinrichtung des Königs ein Nichtereignis zu machen. Das Volk wusste, wer hier sterben würde. Auch Wolzogen spricht nach wie vor von „le roi“ und der „place de Louis XV.“, auf der schon „verschiedene Gruppierungen“ versammelt seien. Interessant ist, dass die Lokalität der Hinrichtung bereits 1792 den neuen Namen „place de la Révolution“ erhalten hatte. Daher ist es schwer festzustellen, ob der Platz nun einer königlichen, oder einer revolutionären Semiotik zugrunde lag.
Die Örtlichkeit am damaligen westlichen Ende der französischen Hauptstadt unterlag im Laufe der Geschichte und vor allem während der großen Revolution mehreren Deutungsverschiebungen. Ursprünglich war der heutige Platz der Eintracht als geeigneter Rahmen für die Reiterstatue Louis XV. des Bildhauers Bouchardon gedacht gewesen. Jacques Ange Gabriel legte einen achteckigen Platz an, der zunächst von einem Graben umgeben war. Bereits am 30.Mai 1770, als anlässlich der Trauung des Dauphins mit Marie Antoinette spektakuläre Feierlichkeiten stattfanden kam es zu einem großen Unglück: Ein fehlgeleiteter Feuerwerkskörper versetzte die Menge in Panik, was 132 Tote zur Folge hatte.
Der Platz, auf dem so viele Pariser Bürger ihr Leben ließen unterlag in seiner Konzeption einer eindeutig königlichen Intention. Das Gesicht der im Stile eines römischen Imperators entworfenen Figur, die stolz auf ihrem Ross thronte, blickte in Richtung Tuilerienschloss und somit zugleich in Richtung Paris. Louis XV. präsentierte sich im Prinzip als eine Art wachender Fremder in oder eher vor der Stadt. Die Ausrichtung der in etwa vier Meter hohen Statue schien also einer gezielten Idee seitens der Obrigkeit zu unterliegen. In dieser Tradition stehend könnte man auch den Lichtstrahl des modernen Eiffelturms betrachten, der sich um die eigene Achse dreht und dadurch in der Nacht die Impression eines wachenden Auges über der ganzen Stadt hinterlässt.
Der Platz war also nur die Fassung, eine Betonung dieser politisch höchst expressiven Skulptur, die den König als starken Krieger darstellte, während – um keine Zweifel am damaligen Geschlechterverhältnis aufkommen zu lassen – der Sockel von vier mit römischer Tracht spärlich bekleideten Frauen gestützt wurde. Auch der architektonische Stil des Platzes verdeutlicht das Königliche. Am nördlichen Ende ließ man zwei klassizistische Bauten (das heutige Hôtel de la Marine und das Hôtel Crillon) errichten, deren Fassaden nahezu jenen der Kolonnaden des Louvre entsprechen. Damit setzte Louis XV. die politische Sprache des Sonnenkönigs fort, und diese lautete Distanz bei gleichzeitiger Kontrolle.
Während der Revolution ließ man dem Platz im Gegensatz zu manch anderen Örtlichkeiten der Stadt zunächst seinen Namen. Jedoch schien mit dem Niedergang des Königs als Person auch der Verfall der von ihm semiotisch besetzten Orte einzusetzen, denn am 10.August 1792 wurde die ehemalige „place de Louis XV.“ in „place de la Révolution“ umbenannt. Mit dem Directoire kam es zu einer erneuten Bedeutungsverschiebung, als die riesige Fläche den Namen „place de la Concorde“ erhielt, den sie bis in die Zeit des Empires behalten sollte. Man sollte erwähnen, dass der Raum zu jener Zeit - seiner Bezeichnung gerecht – um zwei neue Statuengruppen am Eingang hin zu den Champs Élysées bereichert wurde: Die Chevaux de Marly wurden 1795 aufgestellt und scheinen in ihrer aufbäumenden, wilden und revolutionären Gestalt passende Ergänzungen zu jenen beiden Skulpturen zu sein, die sich am Eingang der Tuileriengärten befinden und Ruhe, Ordnung und Gehorsam symbolisieren. Man erhält den Eindruck, dass hier mittels der Kunst versucht wurde, einen Konsens zwischen dem Königtum und der Revolution zum Ausdruck zu bringen, ergo die Concordia beider Seiten.
Mit der Restauration schließlich kehrte auch die königliche Semiotik zurück. Nach der Renaissance der ehemaligen „place Louis XV.“ wird der Platz sogar Louis XVI. gewidmet. Im Zuge dieser Transformation hin zu einer Örtlichkeit, die nun, da Louis XVI. fernab der Hinrichtung kaum etwas mit jener zu tun hatte, zu einem Raum des königlichen Martyriums geworden war, dachte man sogar daran, diesen mittels Kolonnadengängen repräsentativer, sprich royalistischer zu gestalten. Aufgrund dieser ständigen Veränderungen ist die Place de la Concorde wohl eines der prägnantesten Beispiele semiotischer Verwandlung in Paris, denn letztendlich offenbaren Architektur, Skulptur und Namensgebung einen scheinbar nie enden wollenden Machtwechsel. So brachte man nach der Zerstörung der alten Königsskulptur am 11.August 1792, also nur einen Tag nach dem Sturm auf das Tuilerienschloss, eine Figur der Liberté in der Mitte des Platzes an und dachte wiederum später daran, neuerlich eine elitäre Geste zu setzen und Louis XVI. im Zentrum des Raumes zu platzieren.
Faktum ist, dass das ursprünglich königlich besetzte Volumen trotz der spontanen Umbenennung in „place de la Révolution“ zum Zeitpunkt der Enthauptung noch von der alten Ordnung geprägt zu sein schien. So sahen dies zumindest ein Célestin Guittard de Floriban und sogar verschiedene öffentliche Zeitungen und so hat es wahrscheinlich auch die Pariser Volksmasse wahrgenommen. Damit wurde der König auf einem der Monarchie und der Observation der Bevölkerung geweihten Platz beseitigt. Natürlich hatten es die neuen Machthaber beabsichtigt, die Eignung des Raumes für historische Spektakel weiterhin zu nützen, jedoch hatten sie es nicht geschafft, diesen bis zum Hinrichtungsdatum mit einer neuen revolutionären Semiotik zu besetzen. Auch das Ideal des leeren Raumes, welches in diesem speziellen Falle – anders als bei den späteren revolutionären Festen - zu einer Passivität der Masse hätte führen sollen, konnte in der Realität nicht einwandfrei umgesetzt werden. Denn der Todesstille während sich der Zug dem Schafott näherte folgte laut Wolzogen eine zum Teil recht aufgebrachte Menschenmenge. Zwar seien einige Anwesende mit derselben Gleichgültigkeit von der Stätte der Hinrichtung wieder weggegangen, mit der sie gekommen waren, doch sollen etliche Menschen „point de paroles – à bas la tête“ geschrien haben. Diese offensichtlich aktive und antikönigliche Stimmerhebung der Masse hätte man aus Sicht der Revolutionäre noch verdauen können, jedoch zeigten die Augenblicke unmittelbar nachdem der Kopf gefallen war in aller Deutlichkeit, um wen es sich bei diesem Toten handelte: Viele der Zuseher drängten sich durch das enorme Polizeiaufgebot, das zur Neutralisierung des Schafotts und des Verurteilten um eben dieses positioniert waren, und tauchten ihre Taschentücher in das Blut des ehemaligen Monarchen. Mit dieser spontanen Handlung hatten die Planer des der Exekution wohl kaum gerechnet.
Man hatte alles probiert, um dass Ereignis so still wie möglich ablaufen zu lassen. Als der König angeblich sprach „Je meurs innocent, je pardonne à mes ennemis“, warf Santerre ein, dass man ihn nicht zu Wort kommen lassen solle und befahl augenblicklich, die Trommeln zu wirbeln. Kurz darauf, irgendwann zwischen 10h15 und 11h00 – hier widersprechen sich die Quellen – soll das Beil gefallen sein. Dies bedeutet, dass das gesamte Procedere extrem rasch ablief – man wollte weder eine pathetische Rede des Königs noch einzelne Gnadenrufe aus dem Publikum riskieren, die die Stimmung offenbar in eine andere Richtung hätten lenken können. Zu diesem Zwecke wurde auch die Chance des Kontakts zwischen dem Verurteilten und der Masse minimiert. In puncto des Blicks bedeutete dies, dass das Schafott niedrig und von Soldaten beziehungsweise Polizeibeamten umzingelt war, die in mehreren Reihen hintereinander standen. Zudem dämpfte man die Akustik, indem man über mögliche Worte einfach den Klangteppich der Trommeln legte.
Im Grunde scheiterten die beiden großen Konzepte revolutionärer Massenveranstaltungen. Die Hinrichtung, die wegen der großen Nervosität der neuen Autoritäten als Nichtereignis geplant worden war, wurde zu einer letzten Erinnerung an den königlichen Körper und sogar an seinen Mythos. Selbst die Stille, die den Zug zur Hinrichtungsstätte begleitete muss unter diesem Blickwinkel als eine Art der Massenaktivität gesehen werden. Sennett hat vermutlich recht, wenn er behauptet, dass sich niemand aus Angst vor der Verantwortung für den Tod dieses besonderen Verurteilten äußerte. Allerdings hat bestimmt auch die Überraschung wegen der plötzlichen Aufhebung der Distanz zwischen dem ehemalig Unantastbaren und seinen Untertanen zur Verstummung der Partizipanten geführt.
Summa summarum war es irreal zu glauben, dass man diesen historischen Einschnitt in der Geschichte Frankreichs verbergen könne. Der Konvent hatte sich zu sehr am Ideal der Revolution orientiert. Die Erkenntnis dieses Fehlschlags wird durch das große Begräbnis Pelletiers und die Versuche, aus der „place Louis XV.“ doch noch einen Ort der jungen Republik zu machen, unterstrichen. Doch hierauf werde ich erst ein wenig später näher eingehen.
Die zweite große Idee, die den revolutionären Festen oder eben den riesigen Umzügen, welche in der Tradition der christlichen Prozessionen standen, zugrunde lag, konnte in der Praxis ebenfalls nicht realisiert werden. Das Ideal des leeren Volumens, das symbolisch für die Freiheit stand, führte zur Orientierungslosigkeit der Teilnehmer und dadurch zur Passivität, die man in diesem Falle jedoch verhindern wollte. Der Raum war zu groß geworden.

Nachdem das Blut des Königs mehrere Taschentücher getränkt hatte, sorgte man rasch dafür, dass der Platz geräumt wurde. Zwar schreibt Von Wolzogen, dass man kurz nach dem Heruntersausen des rasoir national „Vive la nation!“ und „Vive la république“- Rufe gehört habe; jedoch hätte sich wahrscheinlich angesichts des immensen Polizeiaufgebots kaum jemand getraut, „Vive le roi!“ zu schreien. Auch nicht Wolzogen, der vom Verbrechen am „infortuné“ spricht und entrüstet behauptet: „La nation m’apparut comme un monstre que je n’aurais encore jamais vu.“
Die aktive Stille der Pariser Bevölkerung prägte noch den gesamten Rest dieses kalten Jännertages. Sie wurde nicht zuletzt durch die umherziehenden bewaffneten Patrouillen forciert, die dafür sorgten, dass sich kaum ein Bürger vor die eigene Haustür wagte. Das bewusste, nahezu nachdenkliche Schweigen, von welchem Paris zu diesem Zeitpunkt durchflutet wurde, war auch noch am 22.Januar zu spüren, als die meisten Geschäfte nach wie vor geschlossen waren.
Um diesem Stillstand der Zeit entgegenzuwirken, welcher seit dem Fall des Beils das Bewusstsein der Menschen zu dominieren schien, startete der Konvent das vielleicht größte Ablenkungsmanöver in der Geschichte der Revolution. Nachdem man den Leichnam Louis’ in Windeseile fortgetragen und bestattet hatte, versuchte man den Mord an Pelletier, der ja bekannter Weise für die Hinrichtung gestimmte hatte, von der Wertigkeit her über den Tod des Königs zu setzen. Als wäre er ein Heiliger wurde sein Leichnam im Hause seiner Eltern öffentlich zur Schau gestellt. Neben der gezielt angestrebten Verdrängung der Exekution des ehemaligen Monarchen, die durch diesen in ein Martyrium umgewandelten Mord erreicht werden sollte, diente das Attentat zugleich als Argument, umfangreiche Hausdurchsuchungen zu unternehmen und erste politische Gegner auszuschalten.
Am 24.Jänner 1793, also nur vier Tage nach der Bluttat in einem Café im Palais Royal und nur drei nach der Hinrichtung Louis’ fand das überaus aufwendige Begräbnis des neuen Republikhelden statt. Der König sollte augenblicklich in Vergessenheit geraten und die Revolutionäre wollten die Niederlage ihres Konzepts so rasch wie möglich vertuschen. Als royalistisch gesinnter Mensch erwähnt Wilhelm von Wolzogen die Bestattung Palletiers nur ganz kurz – mehr darüber berichtet jedoch Célestin Guittard de Floriban und zudem ein womöglich noch interessanter Quellenkorpus – die revolutionären Zeitungen.
Floriban, der dem bürgerlichen Milieu entstammt bestätigt zunächst die Aussagen Wolzogens. Am 14.Jänner habe man die Häuser beleuchten lassen, aus Angst vor Erhebungen, wie er meint. Er selbst hofft, dass es auf den Straßen zu keinen gröberen Zwischenfällen komme. Am 17.1. notiert er in seinem Tagebuch, nach der Erwähnung eines privaten Dîners, in ausführlichster Weise die Zahlen der Abstimmung, führt jedoch andere Daten als Wilhelm von Wolzogen an: Nicht 369, sondern nur 366 hätten für den Tod gestimmt, 319 hingegen für die Inhaftierung beziehungsweise das Exil. Weiters listet er die genaue Zahl der Abwesenden auf. Es seien 23 gewesen, die an diesem Tag nicht im Sitzungssaal erschienen seien. Daher war die Zahl der Abgeordneten von 745 auf 721 reduziert worden. Für einen Urteilsspruch war die Hälfte der potentiellen Stimmen an diesem Tag notwendig – die Entscheidung war also denkbar knapp, die politischen Divergenzen klar ersichtlich. Am Ende des Eintrags notiert Floriban: „Ainsi a prononcé le Président de l’Assemblée: la peine prononcée contre Louis est la MORT.“ Als wäre ihm bewusst geworden, dass der Mythos des Königs, für den er Louis noch immer hielt, nun endgültig gebrochen werden würde.
Erst am 21.Jänner folgt der nächste nennenswerte Eintrag: „C’est aujourd’hui Lundi 21 Janvier 1793 que LE CI-DEVANT ROY LOUIS XVI. A ÉTÉ EXECUTÉ“. Der nun ehemalige Monarch sei um 10h20 auf der „place Louis XV.“ guillotiniert worden. Floriban gibt zudem eine interessante Information über die klimatischen Verhältnisse an jenem Tag. Die Temperatur betrug demnach minus 3°C und das Wetter war sehr feucht. Diese Umstände könnten auf zwei verschiedene Arten die Emotionen der Leute beeinflusst haben. Einerseits hätte die Kälte zu einer Massenpassivität führen können. Andererseits hätte das schlechte Wetter die Besonderheit der Hinrichtung betonen können. Denn trotz der tiefen Temperaturen kam an jenem Tag eine ungeheure Masse an Menschen auf die heutige place de la Concorde, was bei einem unbedeutenden Verurteilten wohl kaum passiert wäre. Darüber hinaus muss der graue Himmel unheimlich bedrückend auf den Zug, welcher sich dem Platz näherte, gewirkt haben – gerade so, als würde die Stille der Menge vom Wetter unterstrichen werden.
Am Ende des Eintrags ist eine spätere Hinzufügung erkennbar: Sie betrifft die Exekutierung der „ci- devant Reine“ Marie Antoinette am 16.Oktober selbigen Jahres auf der „place de la Révolution“ [sic!]. Hier sieht man also wunderbar die semiotische Bedeutungsverschiebung einer einzigen Örtlichkeit. Vor allem kann man aber mit aller Deutlichkeit sehen, wie viel Zeit diese Transformation benötigte, um im Kopfe einer bestimmten Person Fuß zu fassen.
Nachdem der König beseitigt worden war, versuchte die revolutionäre Führung auch seinen Platz am Rande der Stadt zu entweihen, um ihn schließlich neu besetzen zu können. So wurde etwa am 10.August 1793, ergo ein Jahr nach dem Tuileriensturm, auf der place de la Révolution die fête de l’Unité gefeiert. Zu diesem Anlass ließ man königliche Embleme am Fuße der Statue der Liberté des Bildhauers Lemot verbrennen, welche man einfach auf den Sockel der vorigen Skulptur Louis XV. hatte aufstellen lassen. Dies beweist, dass man es erst lange nach der Exekutierung schaffte, den Platz politisch neu zu definieren. Erst allmählich wurde die elitäre Observation von der Idealisierung der Freiheit verdrängt. Der Raum war zwar nach wie vor auf Grund seiner Anlage und dem beinahe absoluten Mangel an Hindernissen zur Überwachung geeignet, jedoch schien die Statue der Liberté diese Eigenschaft des gigantischen Volumens zu relativieren. Freiheit kann nicht bewachen, sie kann nur legitimieren.
Anders als noch zur Königszeit war die Lokalität nun scheinbar in die Stadt integriert worden. Dies wäre wohl kaum die Intention Louis XV. gewesen: Pläne für die Anfertigung eines königlich geprägten Platzes in der Hauptstadt zeigen, dass es nicht selbstverständlich war, diesen westlich des Tuilerienparks anzulegen; viele andere Orte wären ebenso in Frage gekommen. Allerdings entschied man sich letztendlich für den Ausbau gen Westen. Damit bevorzugte man nicht nur das flächenmäßig größte Areal, sondern akzentuierte zugleich die königliche Hauptachse. Damit verhalf die place Louis XV. drei Funktionen zur Expression – Repräsentation, Überwachung und Distanz. Die Lage am Stadtrand hatte also ein deutliches politisches Signal gesetzt.
Indem man während der Revolution die geeigneten Eigenschaften des Platzes für Massenveranstaltungen übernahm, diese aber im Dienste der Republik und nicht nur mehr in jenem des einen Herrschers veranstaltete, hatte die Örtlichkeit den Charakter eines Raumes des Volkes und somit der Stadt übernommen. Erst durch diese Integrierung in den urbanen Komplex an sich, konnte die Idee eines Revolutionsplatzes verwirklicht und die alte Semiotik weitgehend verdrängt werden.
Damit war der Raum transformiert worden. Dem Kult rund um die Person Louis XVI. versuchte man jedoch schon viel früher, nämlich gleich nach dessen Hinrichtung, direkt entgegen zu wirken. Célestin Guittard de Floriban bestätigt die rasche Überführung des Leichnams zum cimetière de la Madeleine, die als erste Stufe der intendierten Vertuschung angesehen werden kann. Als zweite Maßnahme dieses Prozesses ist, wie schon erwähnt, das Begräbnis des Monsieur Pelletier de St. Fargeau aufzulisten, über das Floriban sehr ausführlich in seinem Tagebuch berichtet. Die Beisetzung war von der Assemblée Nationale beschlossen und geplant worden. Pelletier sollte als Märtyrer des neuen Regimes dargestellt werden, schließlich war er aufgrund seiner antiroyalistischen Haltung gestorben. Der Gegensatz zwischen alter und neuer Ordnung wurde hervorgehoben, indem man jeder Seite einen Toten zuwies – Louis symbolisierte das Opfer im Dienste des Königtums, Pelletier jenes, welches für die neuen Ideale der Revolution sein Leben ließ. Jedoch ließ man dadurch, dass man dem einen Tod deutlich mehr Anerkennung und vor allem mehr Wertigkeit zugestand, keinen Zweifel darüber aufkommen, wer für die bessere Sache gestorben war.
Das Begräbnis des ehemaligen Monarchen war – wie die Hinrichtung – als Nichtereignis konzipiert gewesen; sei es in puncto des Aktes an sich oder eben in Bezug auf die Dauer des Selbigen. Jenes Pelletiers offenbarte das genaue Gegenteil hierzu: „On a fait une des plus grandes cérémonies qu’il y ait encore eu.“, schreibt Floriban. Der Corpus des Märtyrers wurde vor der Beisetzung öffentlich zur Schau gestellt. Jeder sollte sehen können, zu welchen Taten die Gegner der Republik fähig waren. Es scheint fast so, als hätte man mit der Präsentation des Körpers auch einen symbolischen Akzent setzen wollen, nach dem Motto: Der unantastbare Leib des Monarchen existiert nicht mehr, er wurde vom rationalen, antastbaren Körper eines republikanischen Bürgers ersetzt. Man brachte zum Ausdruck, welcher Mord auf Basis der Gerechtigkeit, und welcher auf jener der Ungerechtigkeit begangen worden war. Durch diese Vorgehensweise gab die neue Führung aber auch deutlich zu erkennen, wer in Zukunft über Leben und Tod der Menschen bestimmen, beziehungsweise die Legitimität für diese Handlungen besitzen dürfe.
Dabei setzten die Planer des Begräbnisses auf die der Politik dienliche Macht der Novität: „On n’a jamais porté ainsi à découvert un homme mort en public. […] C’est un enterrement d’un nouveau genre, sans prêtre. C’est une cérémonie Romaine. Le cortège était si grand et si pompeux et majestueux qu’il a été 4 heures en marche, depuis la place Vendôme où il est mort le Dimanche à minuit jusqu’au Panthéon où il est déposé avec Voltaire, Mirabeau et Soufflot, l’architecte du Panthéon.”
Die offene Zurschaustellung des Leichnams erzeugte Mitleid und somit Gespür für die gerechte beziehungsweise ungerechte Sache. Zudem macht die Einmaligkeit dieser Aktion aber auch deutlich, dass es sich hierbei um einen extraordinären Verstorbenen handelte. Man machte Pelletier zu einem römischen Kaiser, dem zu Ehren ein Zug gigantischen Ausmaßes veranstaltet wurde und krönte ihn sogar mit einem Lorbeerkranz. Die Neuheit offenbarte sich auch in der Umgestaltung des Begräbnisritus – ein katholischer Geistlicher wurde bewusst beiseite gelassen. Letztendlich trat er in den Reigen der großen revolutionären Helden ein. Aufgrund des Wegfalls des Katholizismus, sollte die Vorstellung des Martyriums im Dienste der Revolution noch ein essentielles Instrument der späteren Terreur werden, wie der Tod Marats eindrucksvoll unter Beweis stellt.
Zusammenfassend könnte man die Behauptung aufstellen, dass erst die Hinrichtung Louis’ der Terreur endgültig den Weg ebnete. Fernab der tatsächlichen Beseitigung des wichtigsten Vertreters der alten Ordnung, konnte dieses Ereignis genützt werden, um erstmals die Macht des Polizeistaates zu erproben. Neben Hausdurchsuchungen und ersten Festnahmen politischer Gegner, ließ man nun gezielt Polizei und militärische Verbände en masse in Paris aufmarschieren, konnte somit die eigene Stärke demonstrieren und zugleich die Bevölkerung einschüchtern. Neben der tatsächlichen Waffengewalt nützten die radikalen Gruppierungen die Zeit um die Exekution aber auch, um sich selbst zu präsentieren. So nahm am Begräbniszug Pelletiers etwa der gesamte Klub der Jakobiner, gefolgt von hohen städtischen Würdeträgern und einem immensen Truppenaufgebot, teil. Vor allem aber dürften die Jakobiner damals an der ausbleibenden Passivität der Masse tatsächlich erkannt haben, wie stark das Pariser Volk in sich politisch gespalten war.

Die Berichterstattung der revolutionären Zeitungen akzentuierte in ihren Inhalten im Allgemeinen die Absichten der neuen Macht. Jedoch muss erwähnt werden, dass sich mit dem Jahr 1792 eine Entwicklung zuspitzte, die schon nach der Flucht des Königs angefangen hatte, deutlich zuzunehmen. Das Misstrauen gegenüber royalistisch gesinnten Personen wuchs und somit auch die republikanische Skepsis gegenüber königsfreundlicher Zeitungen. Bald kam es unter dem Vorwand einer möglichen Konspiration der alten Eliten zu Zensuren, woraufhin Verbote und schließlich – verschärft seit dem Sturm auf das Tuilerienschloss am 10.August 1792 und die folgende Ausrufung der Republik – die Verfolgung der Verfasser folgten. Dies hatte zur Folge, dass royalistische Zeitungsberichte zur Hinrichtung Louis’ beinahe gänzlich ausblieben – es ist anzunehmen, dass vereinzelt anonyme Blätter auftauchten, die allerdings schnell wieder aus dem Verkehr gezogen wurden. Diese Kontrolle der Presse sollte während der gesamten Zeit der Schreckensherrschaft weitergeführt werden und konnte erst wieder nach dem 9.Thermidor gelockert werden, als viele der ehemals untergetauchten Autoren erneut anfingen, zu schreiben und es bis zum Putschversuch am 5.Oktober 1795 zu einem generellen Erstarken des Royalismus gekommen war.
Aufgrund mangelnder Kritik erscheinen die Zeitungsberichte, die über die Exekution verfasst wurden, extrem einseitig und parteiisch, allerdings zeigen sie sehr schön, wie der Konvent auch hier zunächst versuchte das Ereignis zu neutralisieren und es anschließend zu vertuschen um letztendlich ein Ablenkungsmanöver zu starten.
Am 18.Jänner berichtet das Journal de France beispielsweise über die Abstimmung in der Convention Nationale, versucht dabei aber einen äußerst nüchternen Bericht zu entwerfen. Dazu wird diese im Grunde enorm wichtige Information auf die letzte Seite des Journals gedruckt, als wolle man ausdrücken, dass hier nichts Bedeutendes passiere. Der Report erwähnt aber eine immer wiederkehrende Stille, die die Sitzung prägte: „Plusieurs minutes se passent dans le plus profond silence, il dit: ‚[…]’“, oder beispielsweise: „Je déclare donc, continue le président, en baissant la voix, au nom de la Convention, que la peine qu’elle prononce contre Louis Capet, c’est la mort. [Profond silence]“ Fernab der Dramatisierung, die typisch für das Zeitungswesen jener Epoche war, hatte die Schilderung aber gewiss auch eine andere Funktion: Stille konnte zwar Nachdenklichkeit bedeuten, jedoch steht sie ebenso für eine gewisse Art der Widerstandslosigkeit und, vermutlich noch wichtiger, für Passivität. Genau diese angebliche Inaktivität, die man dem Schweigen zuschrieb, sollte der Convention aber noch zum Verhängnis werden. Wilhelm von Wolzogen berichtete – anders als das Konventsblatt – von einem unzufriedenen Murmeln, welches aus einer Ecke des Sitzungssaales zu vernehmen war. Dieses Feindbild ließ man im Konventsblatt unter dem Mantel der Stille verschwinden. Stattdessen versuchte man dem Leser mittels der statistischen Wiedergabe des Abstimmungsergebnisses die Souveränität, die Korrektheit und somit auch die Gerechtigkeit des Konvents zu verkaufen.
Das Journal de Lyon, welches sich inhaltlich am Konventsblatt orientiert, veröffentlicht einen Artikel, der – dem Ereignis angemessen – bereits spektakulärer erscheint. Die Neuigkeit wurde an der ersten Seite der Ausgabe angebracht und am Ende der Schlagzeile setzte man zum Zwecke der Dramatisierung zwei Rufzeichen: „Le jugement est prononcé! Louis Cape test condamné à mort!!“ Anschließend folgen in Anlehnung an das Journal de France Zahlenangaben und die Schilderung der silence. Womöglich ist die Betonung der Einmaligkeit des Urteils, die man eigentlich vermeiden wollte, ein Anzeichen dafür, dass die Zensur der Machthaber in Paris zumindest zu diesem Zeitpunkt noch nicht alle Teile des Landes ergriffen hatte. Das Blatt, das angeblich für seine Verspätungen bekannt gewesen sein soll, publiziert den Artikel erst fünf Tage später, was bedeutete, dass die Leser das Abstimmungsergebnis erst erfuhren, als der König bereits tot war. Insofern wird hier wiederum die große Eile ersichtlich, mit der das Urteil vollstreckt wurde.
Dem Konvent konnte es aber auch nicht gelingen, das Konzept der Neutralisierung in ganz Paris durchzubringen, worin wahrscheinlich ein fataler Fehler lag. Denn antikönigliche Hetze und revolutionärer Radikalismus wurden durchaus zugelassen. So schrieben die Révolutions de Paris „[…] à minuit il est terminé… Quel est le résultat? C’est un décret à une majorité de 29 voix qui ordonne que Louis Capet, ci-devant roi des Francais, sera mis à mort dans les 24 heures!!!!!“
Über die tatsächliche Hinrichtung an sich schweigt das Informationsblatt des Konvents beinahe gänzlich. Es ist zwar erneut von der alles überdeckenden silence die Rede, die Enthauptung erhält hingegen den Status eines Nichtereignisses. Nur Barère macht eine kurze Anmerkung: „[…] vous avez fondéla république le 21 septembre, elle a été affermie aujourd’hui à onze heures.“ Auch das Journal de Lyon erwähnt den Tod des ehemaligen Monarchen, angesichts mangelnder Informationen aus Paris, nur in einem kurzen Absatz unter lokalen Nachrichten: „Paris, le 21 janvier 1793, 10 heures et demie du matin. Louis, ci-devant roi des Francais, vient de perdre la tête sur l’échafaud; Paris est tranquille et le peuple paraît content. Hier on a assassiné Pelletier St.Fargeau, à 8 heures du soir, au palais de la révolution.“ In den kommenden Ausgaben wird über die Guillotinierung kein Wort mehr verloren, der Prozess der Vertuschung war eingeleitet worden. Zudem ist bereits von Pelletier und vom „palais de la révolution“ die Rede, welches Célestin Guittard de Floriban noch „palais royale“ genannt hatte.
Am 22.Januar 1793 schriebt Le Patriote francais: „Louis a montré plus de fermeté sur l’échafaud qu’il n’en avait déployé sur le trône. […] Il a dit quelques mots; il a parlé de son innocence, du pardon qu’il accordait à ses ennemis […] Louis a parlé des malheurs qui suivraient sa mort. – O mes concitoyens! Faites que cette fatale prédiciton ne soit pas plus vraie que ce qu’il a dit de son innocence. Réunissez-vous pour sauver la république.” Man betont also die Entschlossenheit des Monarchen, fast so als möchte man zum Ausdruck bringen, dass Louis wusste, dass er für das Wohl der Republik sterben müsse. Nicht das königliche an seiner Person, sondern seine Rolle als Protagonist der Hinrichtung wird gewürdigt. Interessanter Weise wird der Akt des Tötens eines ehemalig Unantastbaren in keiner einzigen Zeitung in Frage gestellt. Stattdessen stellt man Louis hier sogar als einen Hetzer dar, der selbst mit seinen letzten Worten versuchte, die Republik zu spalten und folglich gerechter Weise exekutiert wurde. Mit dem Aufruf zu Ruhe und Geschlossenheit, wird nochmals versucht, die Pariser Volksmasse in die Passivität zu drängen.
Diese verhängnisvoll idealisierte politische Einheit des Volkes wird im Républicain nochmals hervorgehoben: „[…] l’exécution n’a pas duré huit secondes; mais à peine le balancier de la guillotine s’est-il détaché, qu’un cri universel de Vive la république s’est fait entendre; et que tous les chapeaux ont été agités en l’air sur les baionnettes et les piques.“ Kein Wort über die Emotionen des Königs, da jegliches Mitgefühl verhindert werden sollte. Man wollte eine rationale und wohlüberlegte Hinrichtung zeigen, auf keinen Fall durfte sie Gefühle für den ehemaligen Monarchen hervorrufen. Auch keine Erwähnung jener Personen, die ihre Tücher in das Blut Louis’ tauchten und über die in anderen Quellen berichtet wird. Die Masse wird dem Leser als homogen und glücklich präsentiert.
Das Procedere der Vertuschung, welches der gescheiterten Neutralisierung folgte, wird in der Gazette nationale geschildert: „Deux heures après, rien n’annoncait de Paris que celui qui naguère était le chef de la Nation, venait de subir le supplice des criminels. La tranquillité publique n’a pas été troublée un instant.“ Der König wird zu einem gewöhnlichen Kriminellen gemacht und kann dadurch augenblicklich bestattet werden, was sich der Erinnerung an ihn direkt entgegensetzt.
Nach der raschen Beseitigung des königlichen Leichnams wird im Journal de France gerade ebenso schnell ein Bericht zum Tode Pelletiers publiziert. Nur einen Tag nach der Hinrichtung des ci-devant roi rückt ebenjener hinter den neuen Republikhelden zurück, dessen vorbildhafte Tugend mit folgendem Satz zum Ausdruck kommt: „Il est expiré ce matin à une heure, en disant qu’il mourait heureux, puisqu’il avait contribué peut-être au bonheur de sa patrie.“ Am 26.Jänner folgt schließlich eine Schilderung des außerordentlich prächtigen Begräbniszuges, der unter dem Zeichen großen Schmerzes gestanden haben soll. Man bedient sich der Theatralisierung, um vom Geschehenen abzulenken. Auch die Révolutions de Paris preisen den Trauerzug in nahezu ästhetischer und pathetischer Weise. Sie zeigen darüber hinaus eine Abbildung der Beisetzung, auf welcher dem toten Pelletier gerade ein Lorbeerkranz aufgesetzt wird. Darüber steht: „Honneurs rendus à la mémoire de le Pelletier.“ Darunter: „Jeudy 24 Janvier 1793 le corps du Martyr de la liberté fut exposé sur le piedestal de la statue de Louis XIV. Place des Piques ci devant Place de Vendôme.“ Die Revolution hatte einen weiteren Märtyrer geboren. Und da das Martyrium an die Gerechtigkeit gebunden ist, konnte auch die Revolution nur gerechter geworden sein.
Der Hinrichtung Louis XVI. waren wesentliche Veränderungen der alten Ideale vorausgegangen. Karikatur, neue Körpermetaphern und die Vorstellung eines revolutionären Martyriums führten zum scheinbaren Verfall des königlichen Mythos und zur vermeintlichen Entkörperung des einst unantastbaren Monarchen. Jedoch schien die politische Realität nicht mit diesen symbolischen Veränderungen zu übereinstimmen. Als dies der revolutionären Führung bewusst wurde, versuchte sie die gespaltene Masse zu neutralisieren, was ihr allerdings nur beschränkt gelang. Daher musste der Körper des ehemaligen Monarchen so rasch wie möglich in Vergessenheit geraten und an seine Stelle ein neuer, rationaler Corpus gesetzt werden. Die kommende Schreckensherrschaft hatte sich also schon mittels des Ereignisses der Exekution Louis XVI. eine neue ideelle und – wie am Beispiel der heutigen Place de la Concorde erkennbar – räumliche Semiotik geschaffen, ohne derer sich die Terreur als historisches Phänomen kaum erklären lässt.
Schmale - 16. Sep, 16:17

Schmale

Das ist eine fulminante "Schlussfanfare", wirklich großartig! Ich hoffe, Sie bleiben dem Thema Paris ein wenig treu und machen irgendwann noch einmal was daraus. Sie gehen mit dem historischen Stoff souverän um und verbinden es sehr geschickt mit den Örtlichkeiten. Sie können sehr gut schreiben, man liest Ihre Texte sehr gerne.

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